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Was ist das Neurofibromatose Typ 2?

Die NF2 zählt mit einer Geburtenhäufigkeit von ca. 1:25.000 - 1:35.000 zu den seltenen erblichen Genkrankheiten. Gehörverlust ist eines der signifikanten Charakteristika.

Unter dem Begriff der Neurofibromatose werden drei verschiedene Formen voneinander differenziert, die sich sowohl klinisch als auch in Hinblick auf ihrer Genetik voneinander unterscheiden und denen der Wachstum gutartiger Tumoren an Nerven gemein ist.

Die Neurofibromatose Typ 1 ist die häufigste Form der NF – und aller genetischen Erbkrankheiten – und tritt mir einer Wahrscheinlichkeit von 1:300 auf. Symptome entwickeln sich bei der NF2 schon im Kindesalter in Form von Pigmentstörungen der Haut – sogenannte Café-au-lait Flecken. Das Auftreten gutartiger Tumore an Nerven im gesamten Körper und überwiegend an der Haut, zählen zu den typischen Symptomen dieser Erkrankung. Des Weiteren können sich auch im Gehirn oder Spinalkanal (Rückenmarkskanal) Tumore entwickeln oder weitere davon unabhängige Symptome wie etwa Lernstörungen oder Knochen- und Skelettveränderungen auftreten. Die Schwannomatosis ist die dritte und seltenste Form der NF. Sie tritt mit einer Erkrankungswahrscheinlichkeit von 1:40.000 auf und teilt einige klinische Merkmale mit der NF2, wobei hier die Gefahr einer Ertaubung nicht vorliegt – Tumore wachsen hier zwar ebenfalls im gesamten Körper, was chronische Schmerzen bedingt, im Gehirn bleibt ein Wachstum von Tumoren jedoch aus.

Im Gegensatz zu der NF2. Fast alle Betroffenen entwickeln im Laufe ihres Lebens Tumore an den Hör- und Gleichgewichtsnerven – dem 8. Hörnerv. Dieser Nerv steuert unser Gleichgewichtsorgan und das Hören, indem der cochleäre Teil des Nervs akustische Informationen zum Gehirn transportiert. Üblicherweise manifestiert sich die NF2 in der Entwicklung dieser Tumore auf beiden Seiten und folglich in «beidseitigen Vestibularisschwannome.» Aus diesem Grund sind es auch Fehlfunktionen jenes Hörnervs, die einen ersten Verdacht auf das Vorliegen einer NF2 geben können: Hörverlust, Ohrgeräusche (Tinnitus) und Gleichgewichtsprobleme. Aufgrund der Tatsache, dass Vestibularisschwannome in der Regel sehr langsam, also über einen geraumen Zeitraum wachsen, zeigen sich auch die ersten Anzeichen erst sehr spät und nicht selten dann, wenn die Fehlfunktionen des Nervs – wie der Hörverlust – dauerhaft sind. Wenn also ein Vestibularisschwannom anfängt zu wachsen, verschlechtert sich zunehmend auch das Hörverständnis, wobei die eintretende Hörbehinderung nicht ausschließlich von der Größe des Tumors und seinem Wachstum abhängig sein muss. Weiterst kann sich eine Hörverschlechterung ,wie oben beschrieben, über Jahre und Monate hinweg entwickeln oder aber innerhalb weniger Wochen oder Tage plötzlich auftreten.

Aufgrund des langsamen Wachstums können die Vestibularisschwannome zudem irgendwann eine bedrohliche Größe annehmen, die Druck auf das Stammhirn provoziert und Funktionen weiterer Körperteile beeinflussen sowie Bewegungsabläufe blockieren. Neben den Tumoren am 8. Hörnerv können NF2 Betroffene noch weitere Tumore entwickeln. Die Beschwerden sind dabei von ihrer Lokalisation abhängig. Schwannome, die aus und an den Nerven im Spinalkal in der Wirbelsäule wachsen, sind besonders gefährlich und führen oftmals zu Taubheitsgefühlen und Missempfindungen (wie anhaltendes Kribbeln) im Körper – vorzugsweise in den oberen und unteren Extremitäten (Armen und Beinen). Sobald sich im Bereich des Spinalkanals ‹Raumforderungen› bilden – Tumore auf das Rückenmark drücken – kommt es neben den Missempfindungen zu Muskelschwächen oder Problemen im Magen/Darmtrakt (wie Enleerungsstörungen).

In manchen Fällen ist der Spinalkanal noch in der Lage, Beeinträchtigungen durch das Wachstum der Tumore auszugleichen und die Entwicklung der angeführten Symptome zu unterbinden. Darüber hinaus können sich Schwannome unter der Haut bilden, die zwar keine neurologischen Störungen verursachen, jedoch oftmals als kosmetisch störend empfunden werden und sensibel auf Reibungen (durch Textilien) reagieren. Auch ist der Wachstum von Tumoren in der Muskelmasse des gesamten Körpers möglich.

Behandlungsmethoden

NF2 gilt bis zum heutigen Tag als unheilbar und chirurgische Eingriffe stellen bis dato die einzige Therapiemöglichkeit dar. Aufgrund der oftmals gefährlichen Lokalisation der Tumore, ist die Entscheidung für eine Operation nur in Absprache mit erfahrenen Neurochirurgen zu treffen. Die Indikation für einen Eingriff erscheint dann als gegeben, wenn die durch einen Tumor verursachten Symptome die Schwere der Operation rechtfertigen – was in besonderem Maße für Operationen am Gehirn und im Spinalkanal gilt. Obwohl bis zum heutigen Tag noch kein Medikament für die Behandlung von NF2 zugelassen ist, gilt der Wirkstoff Avastin international als für die Behandlung von Vestibularisschwannomen anerkannt.

Avastin ist für die Behandlung von Krebserkrankung zugelassen und Bestandteil von einigen Chemotherapien. Auch wird es als so genanntes Off-Label vereinzelt bei NF2 Patienten eingesetzt und intravenös verabreicht. Avastin führt für die Dauer der Behandlung zumeist zu einem Stillstand des Tumorwachstums und in manchen Fällen gar zu einem Schrumpfen der Tumore sowie einer Abnahme der Symptome – vereinzelt konnte sogar eine Verbesserung des Hörens beobachtet werden.

Doch bleiben diese Beobachtungen Einzelschicksale. Was es braucht, sind daher Langzeitstudien mit Wirkstoffen wie Avastin, um nicht nur Nebenwirkungen zu erforschen, sondern um die Wirkstoffe für eine adäquate Behandlung von NF2 Patienten zu optimieren. Es bleibt abzuwarten und zu hoffen, dass sich die Arzneimittelforschung – im Idealfall mit Einbezug von Patientenverbänden und der Mitarbeit von Patienten selbst – einer solchen Aufgabe annimmt: Wirkstoffe für eine seltene Erkrankung zu entwickeln.

Gehörverlust

Die allgegenwärtige Gefahr einer bevorstehenden oder schon eingetretenen Ertaubung, stellt für den Großteil der NF2 Betroffenen die größte Herausforderung in der eigenen Krankheitsbiographie dar. Obwohl eine Wiederherstellung des Hörvermögens durch auditorische Implantate niemals zur Gänze möglich ist und die alleinige Fokussierung auf technische Hörhilfen für die alltägliche Kommunikationsteilhabe unzureichend bleibt, sollen in der linken Tabelle 3 solcher Implantate kurz vorgestellt werden.

Das Cochlea-Implantat

Eine Implantation des CI, genauso wie die Unterstützung durch konventionelle Hörgerätsysteme, kommt nur bei NF2 Betroffenen in Frage, deren Hörnerven größtenteils intakt sind. Wurde der 8. Hirnnerv durch den Wachstum von Vestibularisschwannomen und chirurgischen Eingriffen hingegen beschädigt, erweisen sich diese Hilfen als wirkungslos: die Überleitung akustischer Signale auf den Hirnstamm auf natürlichem Wege sind unmöglich geworden.

Das Hirnstammimplantat/ Auditory Brainstem Implantat (ABI)

Sofern beide Hörnerven  zerstört sind, kann eine elektronische Hörhilfe nur bei der Positionierung der Elektrode an einen zentral gelegeneren Punkt als den der Hörschnecke (Cochlearis) funktionieren: dem Hirnstamm. Trotz aller ausgefeilten Sprachprozessoren und der Einbindung vieler Elektroden kann das ABI in Hinblick auf das Sprachverständnis nicht an den Erfolg des CI anknüpfen. Besonders auffällig ist dabei die individuelle Differenz der Probanden: manche verstehen mit dem ABI sehr gut und andere sehr schlecht. Überwiegend verbessert sich jedoch das Lippenlesen.

Das Mittelhirnimplantat/ Auditory Midbrain Implantat (AMI)

Da die Hörverbesserung durch ein ABI bei NF2 nur relativ gering ist, wird sie 2006 eine neu entwickelte zentral auditorische Prothese getestet. Mit der Annahme eines durch das Wachstum der Hirntumore sowie etwaiger Eingriffe geschädigten Nucleus Cochlearis (Schneckenkerne), entstand die Überlegung einer elektrischen Stimulation der zentralen Hörbahnen zum tumorgeschädigten Hirnstamm hin gelegen, was zu einem besseren Sprachverstehen führen könnte. Die Elektronen des AMI setzt zwei Stationen höher als das ABI in der Hörbahn, am Colliculus inferior an. Erste klinische Studien mit 5 Patienten ab 2007 zeigten die Wahrnehmung von Umweltgeräuschen, eine Verbesserung des Lippenlesens und Tendenzen einer Verbesserung des freien Sprachverstehens auf.

Weitere Informationen zu NF2 gibt es auch unter folgende Adressen:

  • www.nfkinder.at
  • www.bv-nf.de

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