Das Theater Orchester Biel Solothurn (TOBS) bietet jetzt auch Aufführungen mit Vibrationswesten an, um gehörlosen Menschen ein besonderes Musikerlebnis zu ermöglichen. Christoph Brunner und Nikos Striezel erklären, wie diese innovative Idee entstand und welche Herausforderungen sie meistern mussten.
Christoph Brunner, seit 2021 Verantwortlicher für Inklusion bei TOBS, hat ein besonderes Projekt ins Leben gerufen: Aufführungen mit Vibrationswesten. Diese Westen, die Vibrationen der Musik spürbar machen, ermöglichen es gehörlosen und schwerhörigen Menschen, klassische Konzerte auf eine ganz neue Weise zu erleben. Der Tenor Nikos Striezel, der die Idee hatte, die Vibrationswesten auch für die diesjährige Abschlussproduktion «La Finta Giardiniera» anzubieten, erklärt, dass die Idee aus persönlichen Erfahrungen und der Beobachtung ähnlicher Technologien in anderen Bereichen entstanden ist.
Technische Hürden
Die Implementierung der Vibrationswesten brachte einige Herausforderungen mit sich. «Hohe Frequenzen werden von den Westen kaum spürbar umgesetzt, und bei Musik mit grosser Besetzung entsteht oft ein gleichförmiger Resonanzteppich», erläutert Brunner. Durch kontinuierliche Verbesserungen in der Transposition von Frequenzen und dem Einsatz zusätzlicher Hilfsmittel wie Ballons konnte das Erlebnis optimiert werden.
Emotionaler Bezug zur Musik
Eine der grössten Herausforderungen war es, einen emotionalen Bezug zur Musik herzustellen. «Die physisch spürbare Schwingung alleine garantiert ja noch keinen Kunstgenuss,» betont Christoph Brunner. Durch die Auswahl von Programmen, in denen Texte vorkommen (Liedtexte, Moderation) sowie durch die Verdolmetschung in Gebärdensprache wird die Musik für gehörlose Personen besser erlebbar. Ein beeindruckendes Beispiel war eine Probe der «Sinfonietta Lausanne», bei der gehörlose Besucher:innen die Instrumente anfassen durften, während sie gespielt wurden. Besonders berührend war die Reaktion zweier Besucher:innen auf die sanften Hin- und Herbewegungen des Oberkörpers einer Klarinettistin während ihres Solos.
Positive Rückmeldungen
Das Angebot wurde bisher gut angenommen. Beim ersten Pilotprojekt im September 2023 waren alle sechs Vibrationswesten in Gebrauch, und auch hörende Personen zeigten grosses Interesse. Eine gehörlose Besucherin beim Familienkonzert im Februar 2024 war begeistert von der neuen Möglichkeit, Musik zu erleben. «Die Besucher:innen wollen sehen, wer den Klang herstellt, den sie am Körper spüren», berichtet Christoph Brunner. Diese visuelle Komponente ist entscheidend für das vollständige Musikerlebnis.
Zukunftspläne
Für die Zukunft hofft Christoph Brunner, das Angebot weiter auszubauen und noch besser auf die Bedürfnisse gehörloser Menschen zuzuschneiden. Zudem träumt er davon, auch gehörlose Darsteller:innen in Produktionen einzubeziehen. Sein Rat an andere, die ähnliche inklusive Technologien in Betracht ziehen, lautet: «Ein ständiger Austausch mit Expert:innen in eigener Sache ist zentral.» Nur so kann sichergestellt werden, dass die Massnahmen tatsächlich den Bedürfnissen der Zielgruppe entsprechen. Die barrierefreien Angebote in der kommenden Saison werden auf folgender Website aufgeschaltet und laufend ergänzt: https://www.new.tobs.ch.