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Maximen von Grice

Wie gelingt sprachliche Kommuniaktion und was sind die Voraussetzung dafür? Ein Ansatz für die Kommunikation mit einem hörbehinderten Menschen.

Im Jahr 1968 entwickelte Paul Grice seine Theorie der «Konversationellen Implikatur». Was sich abstrakt und kompliziert anhört, ist ein Modell für ein kooperatives Sprachhandeln. Das Modell erscheint auch bei einer Adaption für die Kommunikation zwischen Menschen mit und ohne Hörbehinderung überaus sinnvoll. Ein Gedankenexperiment.

Sprachwissenschaftliche Theorien treten, wie so viele andere wissenschaftliche Konzepte, überaus trocken und staubig zu Tage. So auch die Pragmatik, die sprachliche Äußerungen als Handlungen versteht. Dabei zeigen oder beweisen solch theoretische Konzepte nichts anderes als Tatsachen, die uns bewusst oder unbewusst tagtäglich in der zwischenmenschlichen Kommunikation begegnen. Also gewissermaßen allgegenwärtig sind. Und dennoch lohnt sich ein genauerer Blick.

Im Gegensatz zu vielen anderen seiner sprachwissenschaftlichen Zeitgenossen, interessierte sich Grice nicht für den eigentlichen Sprechakt einer Person und was diese mit ihrer Äußerung zu bezwecken versuchte. Sondern was bei den Rezipienten (HörerInnen, GesprächspartnerInnen) überhaupt ankommt und wie sie den Sinn des Gesagten erschließen. Dabei ging Grice aber noch einen Schritt weiter, indem er eben nicht von der Erschließung des tatsächlich Gesagtem ausging, sondern von dem «ungesagt Mitgemeintem». Was darunter zu verstehen ist, lässt sich anhand eines Beispiels einfach erläutern: Die Bitte, das Fenster zu schließen, lässt sich auf viele verschiedene Weisen formulieren. Mal eindeutig «Kannst du bitte das Fenster schließen». Forschend als Aufforderung «Mach das Fenster zu!» und dann eben auch versteckt mit «Es zieht» oder «Mir ist kalt». Hier setzt die Theorie von Grice an, indem gefragt wird, auf welche Weise der Rezipient den Sinn einer Äußerung erschließt, wenn sie nicht offenkundig ausgesprochen wird bezieheungsweise überhaupt nicht in den Situationskontext passt.

Dies führt unweigerlich zu der Griceschen «Konversationellen Implikatur». Damit wird ein Umdeutungs- bzw. Schlussprozess bezeichnet, um einen, vom Produzenten einer sprachlichen Äußerung gemeinten, aber nicht ausgedrückten Sinn, als solchen zu erschließen. Diese Implikaturen sind nicht konventionell an Äußerungen gebunden, sondern sind immer im Zusammenhang mit bestimmten Verwendungssituationen zu betrachten. Folglich wird eine Äußerung, die nicht zur Gesprächssituation passt, als Art Sprungbrett benutzt, um zum eigentlich Gemeinten zu gelangen. Obwohl Relevantes eben nicht gesagt, sondern im sprachlichen Ausdruck mehr oder weniger stark verschleiert wird. Doch wie funktioniert diese Art der Entschleierung in der Kommunikation?

Grices Kommunikation bedeutet nicht nur sprachliches Handeln. Es ist kooperatives Handeln, als koopertaive Interaktion mit einem einzigen Ziel: Verständigung. Demnach kann in Grices Theorie Kommunikation nur dann zustande kommen, wenn die beteiligten KommunikationspartnerInnen zumindest ein minimales Interesse an einem gemeinsamen Gespräch haben. Diese Art der Kooperation wird dabei nicht von außen gesteuert, sondern von den Kommunizierenden selbst unter alle sprachliche Aktivitäten gelegt. Es ist somit für die zwei wesentlichen Aspekte erfolgreicher Kommunikation verantwortlich: (1) Der Formulierung von Beiträgen und (2) Das Verstehen anderer Beiträge. Im Prinzip ist es ganz einfach: Redebeiträge werden gemacht, um verstanden zu werden. Darauf bezugnehmend formuliert Grice vier Konversationsmaximen, die zum Aufspüren von Nicht-Gesagtem zu Rate gezogen werden.

Maximen von Grice

Mit dem Postulat «Sei kooperativ» formuliert Grice vier so genannte «Konversationsmaximen» anhand derer das Zustandekommen konversationeller Implikaturen, also der Verschleierung von Gemeintem, erklärt werden sollen:

Maxime der Quantität: Sage soviel wie nötig und sage nicht zu viel.
Maxime der Qualität: Sage nicht, was du für unwahr hältst oder wenn du dies tust, signalisiere welchen Grad der Wahrscheinlichkeit das Gesagte für dich hat.
Maxime der Relation: Sei relevant!
Maxime der Modalität: Sage deine Sache in angemessener Art und Weise und so klar wie möglich

Maximen für Gebärdensprache

Maxime der Körperhaltung: «Positioniere dich deinem Gegebüber derart, dass deine Lippen immer gut wahrnehmbar sind und halte Blickkontakt»
Maxime der Gestik: «Nutze deine Mimik, um den Inhalt zu untermauern.»
Maxime der Modalität: «Spreche in angemessener Weise, klar und deutlich.»
Maxime der Qualität: «Stelle sicher, dass du verstanden wirst, frage nach!»

Laut der Griceschen Theorie geht man nun so vor: zunächst nach offensichtlichen Verletzungen der Maximen suchen, um sie im direkten Anschluss als unverletzt einzustufen. So also mittels Schlussverfahren, das Mehr- oder Andersgesagte, sprich; das wirklich Gemeinte zu entlarven. Dabei handelt es sich um ein rein hypothetisches Verfahren mit dem Ziel einen Konjunktiv wie «So könnte es gemeint sein» zu formulieren. Im Falle von einer Äußerung «Mir ist kalt», die mitten in einer angeregten Diskussion fällt und offensichtlich gegen die Maxime der Relation spricht, nimmt der Rezipient nun weiter an, dass sich der Sprecher einer solchen Äußerung kooperativ verhält und nichts sagen würde, was er für sich nicht als relevant erachtet. Demzufolge kann «Mir ist kalt» als Gefülsbekundung eingestuft und mit der versteckten Bitte, das Fenster zu schließen, verbunden werden.

Ein Gedankengang, den wir in der Kommunikation schon völlig automatisch verfolgen. Doch wie läuft ein solcher Gedankengang im Gespräch mit Menschen mit Hörbehinderung ab? Dieser scheint sich, sobald es zu Kommunikationsbarrieren und Missverständnisen kommt, sofort und ausschließlich auf das verringerte Hörvermögen des Gesprächspartners zu beziehen. Was auch stimmt. Gerade deswegen lässt sich der Ansatz von Grice, als explizit hörerzentrierte Ausrichtung, für eine solche Kommunikation adaptieren, indem verschiedene Ebenen kooperativen Verhaltens formuliert werden- etwas, das manche Menschen (aber nicht alle) unweigerlich schon automatisch machen.

Hörbehinderte entwickeln im Laufe ihrer lautsprachlichen Kommunikationskarriere eine Vielzahl an Strategien, um einem Gespräch folgen und daran teilnehmen zu können, wie das Lippenlesen. Auch eine Sinn-Erschließung – hier jedoch im Gegensatz zu Grice des ‹wörtlich› Gesagtem – kann als Strategie genannt werden. Dabei wird anhand der (wenigen) verstandenen Wörter, die akustisch wahgenommnen wurden versucht, den Gesamtinhalt zu rekonstruieren und so dem Gespräch zu folgen. Solche Strategien sind jedoch immer sehr mühsam und beschreiben eine eher einseitige und auf den Sprecher angepasstes Kommunikationsverhalten. Ein kooperatives Verhalten würde sich demnach an dem Hördefizit des Gegenüber orientieren.

Solche Maximen sollten bei der gebärdensprachlosen Kommunkation mit Menschen mit einer Hörbehinderung immer bedacht werden und eigentlich selbstverständlich sein. Anstelle von Wiederholungen in erhöhter Lautstärke – sowie sinnlos – gilt es vielmehr um visuelle Sensibilisierung. Kooperatives Verhalten in der Kommunikation mit hörbehinderten Menschen bedeutet somit in erster Linie: Bemühen. Die Bedürfnisse des Gegenübers nicht außer Acht lassen. Kooperatives Verhalten in seinem größten Ausmaß? Gebärdensprachlich kommunizieren.

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