Geistig beeinträchtigten Personen ein besseres Hören zu ermöglichen, bedeutet, ihnen den Alltag ein ganzes Stück zu erleichtern. Im Rahmen der Special Olympics leitet Melina Willems das Programm für Hörgesundheit, dessen Ziel darin besteht, die Hörbehinderung von geistig behinderten Athleten festzustellen.
Um die Arbeit des Teams aus Freiwilligen zu fördern, unterstützt MED-EL das Programm nun mit finanziellen Mitteln. Dank dieses Beitrags konnten Melina Willems und ihre Kollegen bereits ihr gesamtes Untersuchungs-Equipment auf den neuesten Stand der Technik bringen. Magda Cernea, Psychologin und Audiologin bei SC Otomed Medical Center in Rumänien, hat zum Thema Healthy Hearing Programm und Hörbehinderung im Special Olympics ein Gespräch mit Frau Willems geführt.
Melina Willems, Sie leiten das Healthy Hearing Programm der Special Olympics auf weltweiter Ebene. Können Sie uns erklären, was genau die Aufgabe des Programms ist?
Die Special Olympics werden für Menschen mit kognitiver Behinderung organisiert. Im Rahmen der Spiele gibt es ein Gesundheitsprogramm, das als Healthy Athlete Program bezeichnet wird. Ziel dieses Programms ist es, den Athleten kostenlose Untersuchungen in sieben Gesundheitsbereichen anzubieten: darunter Augenheilkunde, Zahnmedizin und natürlich Ohrenheilkunde. Dieses sogenannte Healthy Hearing Programm leite ich seit zwei Jahren zusammen mit Beth Lannon.
Vor ungefähr fünfzehn Jahren bin ich über die europäische Abteilung des Programms dazu gestoßen. Zu dieser Zeit waren die beiden internationalen Verantwortlichen, zwei amerikanische Professoren, leider erfolglos auf der Suche nach lokalen Koordinatoren für die europäischen Spiele in den Niederlanden. Daher haben sie ihre Suche nach Studenten der Audiologie auf Belgien ausgedehnt und sichauch an Universitäten gewandt. Ich war damals Dozentin und habe mich zusammen mit zwölf meiner Studierenden freiwillig gemeldet; so haben wir am Hörgesundheitsprogramm dieser Spiele teilgenommen. Mir hat dieses Programm wirklich Spaß gemacht und ich habe mich daher entschieden, mich auch für die internationalen Spiele in Alaska im darauffolgenden Jahr freiwillig zu melden. Anschließend gründete ich 2003 die belgische Abteilung des Programms. Heute bin ich klinische Leiterin der belgischen und der internationalen Abteilung von Healthy Hearing.
Wie läuft dieses Programm für Hörgesundheit konkret ab?
Die Athleten können sich bei uns auf freiwilliger Basis untersuchen lassen. Wir führen eine allgemeine Untersuchung des Ohres durch, wobei wir nicht nur das Hörvermögen prüfen. Wir checken erst einmal nur, ob generell ein Problem besteht und geben, wenn nötig, eine Einschätzung der Schwere des Hörverlusts: leicht, mittel oder schwer. Daraus folgt eine Empfehlung für weitere Behandlungsmöglichkeiten.
Bei der Untersuchung führen wir als erstes eine Otoskopie durch, mit der wir bereits einige Hörprobleme feststellen können. Anschließend prüfen wir das Gehör, indem wir die otoakustischen Emissionen testen. Wenn die Ergebnisse eine Höreinschränkung vermuten lassen, wird ein Audiogramm erstellt. Wir führen außerdem eine Tympanometrie durch, mit welcher man die Funktion des Mittelohrs überprüfen und eventuelle Infektionen erkennen kann.
Welche Ausrüstung benötigen Sie für diese Tests?
Wir benötigen dafür eine umfassende Ausrüstung. Bis zu diesem Jahr hatten wir nur eine sehr veraltete Ausstattung: Die Geräte waren schon vierzehn Jahre alt und mussten dringend erneuert werden. Kürzlich hatte ich die Gelegenheit mit Patrick D’Haese von MED-EL über diese Schwierigkeiten zu sprechen. Er signalisierte gleich Interesse an dem Programm und so konnten wir in diesem Jahr eine Partnerschaft mit MED-EL eingehen. Das Unternehmen hat uns eine finanzielle Spende zukommen lassen, die wir für die Erneuerung unserer Untersuchungsgeräte eingesetzt haben. Ich bin MED-EL wirklich sehr dankbar.
Für die nächsten zehn Jahre sind wir jetzt bestens ausgerüstet. Mit dem Geld haben wir uns zwei Geräte angeschafft, mit denen otoakustische Emissionen in zwei bis drei Minuten getestet werden können; außerdem zwei Tympanometer, um das Mittelohr zu testen und zwei Audiometer, um die Hörschwelle zu prüfen. Wir haben diese Materialien für die europäischen Spiele verwendet, die vom 9. bis zum 20. September 2014 in Antwerpen stattgefunden haben. Danach haben wir sie für die nationalen Spiele nach Eaubonne in Frankreich geschickt, die Mitte Oktober stattgefunden haben.
Haben Sie viele Fälle von Taubheit oder Hörbehinderung?
Es gibt drei Beschwerden, die immer wieder auftreten. Eine davon sind Zeruminalpfropfen, die den Gehörgang verstopfen. Ungefähr 50% der Athleten die wir abhorchen, haben solche Gehörgangs-Verstopfungen. Hinzu kommen Probleme im Mittelohr wie Trommelfellperforationen und Infektionen; davon ist etwa ein Drittel der Sportler betroffen. Die dritte Beschwerde ist schließlich der Hörverlust: Ca. 40% der Athleten leiden darunter. Häufig aufgrund des Zerumens oder einer Mittelohrentzündung. In diesen Fällen handelt es sich meist um leichte Arten von Hörverlust. Bei 20% dieser Athleten bestehen jedoch dauerhafte Hörschwächen. In diesen Fällen kann ein Hörgerät oder Hörimplantat die Lösung sein. Je nach Herkunftsland des Athleten, empfehlen wir einen HNO-Arzt oder einen Hörgeräteakustiker aufzusuchen.
Vor diesem Interview dachte ich über die Athleten nach, bei denen wir bereits Hörverlust festgestellt haben. Zumindest zwei von ihnen litten unter einem ziemlich starken Hörverlust und waren Kandidaten für Cochleaimplantate. Ich denke, dass viele Athleten eine solche Behandlung benötigen würden, jedoch wirtschaftliche Gründe häufig dagegen sprechen. Ein Cochleaimplantat ist teuer und viele Athleten verfügen nicht über die Mittel, um selbst für ein solches System aufzukommen. Selbst für klassische Hörgeräte reicht es oft nicht aus.
Wie verändern Hörgeräte oder -Implantate die sportliche Leistung der Betroffenen, die Sie behandeln?
Wenn wir den Athleten mitteilen, dass tatsächlich ein Hörverlust vorliegt, fangen viele an zu weinen, da dies eine besonders unangenehme Nachricht ist. Andere sind jedoch auch erleichtert, weil sie endlich verstehen, warum es ihnen manchmal schwerfiel mit anderen zu kommunizieren; nicht nur beim Sport, sondern auch im Alltag. Wenn die Athleten aufgrund ihres Hörverlusts ein Hörgerät oder ein Hörimplantat benötigen, gefällt das natürlich den wenigsten, da zur kognitiven Behinderung eine weitere Beeinträchtigung hinzukommt. Dabei kann diese Hörhilfe ihr Leben verändern.
Einige belgische Sportler habe ich eine Zeit lang begleitet. Wir hören immer wieder Erfahrungsberichte, die zeigen, dass die Hörhilfen den Alltag der Athleten verbessern. Beispielsweise hatten wir einen besonders schüchternen Athleten, dessen Umfeld nicht bemerkt hatte, dass er unter Hörverlust litt und nicht einfach nur schüchtern war. Hörhilfen konnten in diesem Beispiel helfen. Viele Athleten erzählen uns, dass sie mit Hörgerät gleich viel offener waren, während sie vorher immer den Eindruck hatten, dass die Leute hinter ihrem Rücken über sie sprachen oder sich über sie lustig machten. Die gleiche Feststellung gilt auch für die Erfahrungen mit Cochleaimplantaten.
Erfahrungsbericht: Micheline Van Hees
Die 50-jährige Micheline Van Hees schwimmt seit etwa dreißig Jahren für die belgische Schwimmnationalmannschaft. Seitdem hat sie an zahlreichen nationalen, europäischen und auch weltweiten Wettbewerben teilgenommen, wie beispielsweise auch 2007 den Special Olympics Sommerspielen in Shanghai.
2008 stellte das Team des Healthy Hearing Programms bei der Schwimmerin einen Hörverlust fest. Es handelte sich um einen mäßigen, beidseitigen, sensorineuralen Hörverlust aufgrund von Schäden im Innenohr. Seitdem trägt Micheline ein Hörgerät. «Das ist wichtig für mich, denn dank meines jetzt besseren Gehörs kann ich mich mehr einbringen als vorher,» erklärt sie. «Bei der Arbeit kann mein Chef mit mir sprechen, ohne die Stimme heben zu müssen. Ich kann mit allen besser kommunizieren.» Eine Verbesserung ihres Alltags, die sie dem Healthy Hearing Programm verdankt: «Die meisten Familien oder Einrichtungen haben nicht genügend finanzielle Mittel, um sich Hörgeräte zu leisten,» bedauert Micheline. «Dabei ist es wichtig, dass alle Athleten Tests durchführen lassen und von Hörgeräten profitieren können.»
«Dank der Spende von MED-EL konnten wir unser gesamtes Screening Equipment erneuern.» / Foto: MED-EL
Über Melina Willems
Parallel zu ihrer Rolle im Healthy Hearing Program ist Melina Willems Audiologin. Sie arbeitete zwanzig Jahre lang in zwei Krankenhäusern in Brüssel; zum einen der Königin Fabiola Universitäts-Kinderklinik, zum anderen dem Universitätskrankenhaus Brüssel (UZB), wo sie für den Bereich Hörgeräte und -Implantate zuständig war. Inzwischen geht sie dieser Tätigkeit nur noch in Teilzeit nach, da sie heute zusätzlich Audiologie-Kurse an einer Universität in Gent, Belgien, gibt.
Über die Special Olympics
Special Olympics ist die weltweit größte Sportbewegung für Menschen mit geistiger Behinderung und Mehrfachbehinderung. Die ersten Special Olympics Winterspiele fanden 1968 in Chicago statt. Seitdem wechseln sich alle zwei Jahre Winter- und Sommerspiele ab. Im Jahr 2013 fanden die Winterspiele in Pyeongchang in Südkorea statt,die Sommerspiele 2015 werden derzeit in Los Angeles vorbereitet. Auch die europäischen Spiele finden alle vier Jahre statt. Darüber hinaus organisieren manche Länder in ihrem eigenen Rhythmus nationale und regionale Spiele. Die 1988 vom Internationalen Olympischen Komitee anerkannte Organisation, wurde von Eunice Kennedy Shriver gegründet. Ihr Hauptquartier befindet sich in Washington D.C.