Menschen

«Mein doppelter Rückstand»

Der 36-jährige Comiczeichner Cristian Verelst war begeistert vom Hören, bis ihm bewegende Erlebnisse mit dem Cochlea Implantat dazu zwangen, auf das Hören zu verzichten.

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Cristian Verelst war als Kind fasziniert von der Art und Weise, wie seine Mitmenschen miteinander kommunizieren. «Es wurde viel geredet und ich erfuhr nichts. Ich war neugierig, welche Erfahrungen die Menschen austauschten», gebärdet Cristian.

Cristian entschied sich für ein Cochlea Implantat (CI). «Mit dem CI hatte ich die Vorstellung, sofort zu hören», sagt Cristian begeistert. Hohe Ewartungen begleiteten ihn zum ersten Hörerlebnis in der Erstanpassung. «Es fühlte sich an wie ein Anschlag. Ich bekam einen Schock und legte das CI ab.» Neben dem dröhnenden Geräusch, spürte Cristian eine Vibration in seinem Kopf. Für ihn war es ein schockierendes Erlebnis.

Nach weiteren Anpassungen war er überwältigt von den Geräuschen, die er durch sein Implantat hören konnte. «Ich hörte den Schnee knistern», erzählt Cristian begeistert. Gesprächen unter vier Augen folgte er gut. Seine Erwartung, Diskussionen unbeschwert folgen zu können, blieb unerfüllt. Er motivierte sich, das Hören zu trainieren und entschied sich für die Sprachheilschule in St. Gallen.

Doppelter Rückstand

Wenige Lehrkräfte beherrschten die Gebärdensprache. «Ich lag stark im Rückstand. Eine Lehrperson sprach und wandte sich der Tafel zu. Ich verstand sie nicht. Um den Spracherwerb zu fördern, hätte ich die Gebärdensprache gebraucht», erzählt Cristian traurig. Während der Zeit in der Sprachheilschule hatte das CI mehrere Ausfälle.

Eine weitere Operation sollte den Ärzten eine Antwort auf die Ursache geben. «Dann stellten sie fest, dass mein Haar zu dick ist», berichtet Cristian und war fassungslos von der Diagnose. Das Haar wurde kurz geschnitten. Die Ausfälle verschwanden und das Cochlea Implantat funktionierte wieder einwandfrei.

Nach fünf Jahren wechselte Cristian in die SEK3 in Zürich. «Alle haben schnell gebärdet. Ich war überfordert. Nun war ich erneut im Rückstand. Ich habe Teile der Gebärdensprache verlernt. Nur einige Schüler wollten mit mir gebärden», erinnert er sich. Nach ein bis zwei Monaten hatte Cristian den Rückstand aufgeholt und es wurde einfacher für ihn. «Durch den doppelten Rückstand hatte ich zunehmend Probleme mit der Identitätsfindung.»

Hören oder nicht hören

Weitere Erlebnisse mit dem Cochlea Implantat bewegen ihn noch heute emotional. «Plötzlich hatte ich ein Gleichgewichtsproblem, fühlte mich wie auf einem Schiff und musste erbrechen. Es lag an einer Entzündung, die sich auf das Gleichgewichtsorgan auswirkte», führt Cristian weiter aus.

Dies führte zu einer Depression mit einem begleitenden Tinnitus. Für ihn war immer noch nicht klar, wo er sich zugehörig fühlt. «Es war eine schwere Entscheidung, ob ich das Taubsein akzeptiere», sagt Cristian traurig. Er suchte intensiv den Anschluss zu Hörenden und stellte fest: «Immer musste ich mich anpassen. Das wurde mir zu anstrengend. Ich konzentrierte mich nur noch auf Hörende, die auch bereit waren, die Gebärdensprache zu lernen.» Cristian fand damit den Zugang zu Hörenden. Ein weiteres Schlüsselerlebnis warf ihn komplett aus der Bahn und festigte seine Entscheidung für seinen späteren Lebensweg.

Das Schlüsselerlebnis

«Ein Kontrollverlust – mein Hals liess sich nicht mehr steuern, mein Rücken verkrampfte. Im Krankenhaus mussten mich die Ärzte festhalten. Sie waren überfordert und wussten nicht, wie mir zu helfen ist. Ich bekam panische Angst. Bin ich jetzt für immer gelähmt? Ich wurde bewusstlos. Ich fühlte nur Schmerz», erzählt er traurig.

Er suchte Kontakt zu anderen Betroffenen mit ähnlichen Erfahrungen. Cristian erfuhr von weiteren Erlebnissen zum Cochlea Implantat, die ihn in seiner Entscheidung, das CI operativ zu entfernen, bekräftigten. Er war sich seiner Entscheidung sicher. Damit stand auch seine Identität fest. «Meine Gesundheit ist mir wichtig. Ich musste akzeptieren, dass ich nichts mehr hören werde», sagt er bestürzt.

Nach der Explantation verschwanden auch seine Sorgen und sein Tinnitus. Für Ratsuchende wünscht sich Cristian mehr Informationsmaterial, insbesondere zur bilingualen Frühförderung. «Ich wünsche mir mehr Zugang zu Informationen zum bilingualen Sprachmodell. Kinder, die bilingual aufwachsen, sind sehr intelligent. Sie können viel mehr von der Sprache aufnehmen. Sie erhalten Zugang zu Hörenden und Menschen mit einer Hörbehinderung. Sie haben früh die Möglichkeit, ihre Identität zu finden», sagt Cristian ernst und beendet das Gespräch.

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