Eigentlich dachte ich immer, dass Freundschaften unter Hörbehinderten völlig normal seien. So wie alle anderen eben auch. Bis mir mal jemand sagte, dass dem nicht so ist. Dies ausgerechnet von der eigenen Mutter zu hören, war dann doch etwas skurril.
Es ist schwierig von Unterschieden zu sprechen, wenn man es überhaupt nicht anders gewohnt ist, doch Fakt ist: Freundschaften zwischen Hörbehinderten sind etwas Besonderes. Wir reisen, ganz egal ob hörbehindert, oder gehörlos, hunderte Kilometer mit dem Zug, oder dem Auto, um uns gegenseitig zu besuchen. Schon mit elf und zwölf Jahren ist es für ‚uns‘ relativ schnell normal, weite Fahrten auf uns zu nehmen. Ganz egal, ob wir nur ein entspanntes Wochenende miteinander verbringen wollen, oder ein SOS eingeleitet wurde, weil zum Beispiel Liebeskummer die Runde macht.
Ich hielt das für selbstverständlich.
Wenn ich ein SOS geschickt bekomme, dann habe ich doch als gute Freundin da zu sein. Immer. Oder etwa nicht? Wird eben im Zug gelernt und gearbeitet, oder als Beifahrer im Auto. Meine besten Klausuren habe ich sowieso dann geschrieben, wenn ich den Stoff im Zug vor mir her gebetet habe.
Auch für richtig gute Partys unter Hörbehinderten nehme ich lange Fahrten gerne in Kauf. Auch, wenn ich es laut meiner Vernunft besser gelassen hätte. So wurde der drängende Praktikumsbericht am Sonntagabend mit 18 Seitenlänge schon einmal mit ordentlich Kopfschmerzen und Promille im Blut mit dem Mut der Verzweiflung geschrieben. Zurück zu den Freundschaften.
Kein Weg zu weit, kein Sturm hält uns auf und Zeit spielt sowieso keine Rolle. In der Regel halten unsere Freundschaften Jahrzehnte, ein Leben lang und wenn man sich Monate nicht gesehen hat, dann ist das auch kein Beinbruch. Man sieht sich, man liebt sich und wenn man sich trifft, dann ist es, als läge keinerlei Zeit dazwischen. Wir halten den Kontakt hartnäckig und eine Entfernung hat da nichts zu melden. So einfach ist das – eben nicht.
Was für uns die Regel ist, ist für Hörende nicht selbstverständlich. Vielleicht liegt es am Behindertenausweis, der es uns erlaubt kostenlos Bus und Bahn zu nutzen. Oder aber es ist dieses Gefühl von Zuhause, das wir haben, wenn wir mit Gleichgestellen zusammen sind. Nirgends fühlt man sich wohler, als unter Menschen, die einen besser verstehen, als man sich selbst. Denn sind wir ehrlich, unsere hörende Freundin wird nur schwer nachvollziehen können, wenn wir Komplexe aufgrund unserer Hörbehinderung haben, oder uns mal wieder ausgeschlossen fühlen.
Die taube Nuss, aka der Kaugummi-Freund, der seine Ohren nur zum Putzen hat und spazieren trägt, zuckt da nicht einmal mit der Wimper. Er versteht das auf Anhieb und man muss nicht erst noch Stunden erklären wieso und weshalb. Das Wieso und Weshalb macht einen Teil des Unterschiedes und der ist schon ziemlich gewaltig.
Bleibt zu sagen: Mütter haben leider immer recht.