Menschen

«In unserer Arbeit werden wir oft wieder zum Kind»

Der Grund für ihre wenig verärgende Verspätung kann viele Gründe haben.

Sie ist seit 1 1/2 Jahren verheiratet. Vielleicht lag es an ihrem Mann für ihr spätes Erscheinen am Hauptbahhof Zürich. Oder doch an ihren Freunden, mit denen sie gerne ab und zu mal durchfeiert. Als sie mich sah, schien dies keine Rolle zu spielen – sie freute sich strahlend und kam auf Highspeed auf mich zu.

Irina Franscesca Keller ist Doppelbürgerin wie ihr Name schon aussagt. Die Schweizerin und Italienerin beherrscht beide Nationalitätssprachen. Dies hält sie aber nicht ab, Englisch zu können, denn Englisch kann sie nicht, weil sie es nicht braucht. Englisch will sie aber erst lernen, wenn sie ins Ausland geht.

Erstaunlicherweise muss man sagen, dass Irina dreißig Jahre alt ist, aber sich genauso wie in Teenagerjahren verhält. «Mit dreißig will ich zwanzig sein!», lacht die gelernte Friseurin. Heute arbeitet sie als Fachfrau Betreuung mit Kindern im dritten bis achten Lebensjahr. Ihren Job liebt sie – sehr sogar. Zugegeben konnte sie meine Frage darauf, dass sie in ihrer Arbeit kindisch seie, nicht verneinen. «In unserer Arbeit werden wir oft wieder zum Kind.», stellt Irina fest.

Ihre Arbeit ist eine Sache. Aber feiern tut sie, als sie ihr Hobby mit der Geige aufgegeben hatte. Irina spielte zehn Jahre Geige, verlor aber die Motivation, weil sie mit ihren Hörgeräte ihr Instrument anders hört. «Angst davor, alt zu werden habe ich nicht. Aber ich habe viel verpasst.», meint Irina nachdenklich.

In ihrer Freizeit steht keineswegs übermässiges Alkohol saufen auf der To-Do-Liste. Sie hält sich im Maß. Das Einzige was zählt mit dreißig nochmals zwanzig zu sein, ist der Spaß, der sie mit ihren hörenden Freunden und ihrem Ehemann hat. Man könnte wirklich meinen, sie gehöre noch den Teenagerjahren an, denn lachen tut sie über alle Späße. Und es dauerte nicht allzu lange, bis wir im Gespräch zur Hörbehinderung kamen.

Viel verpasst hat sie auch aufgrund ihrer Hörbehinderung. Seit knapp drei Jahren trägt sie Hörgeräte. Über meine Frage, ob sie ihre Hörbehinderung als Geschenk sieht, lachte sie wild: «Gaht‘s no!» (Geht‘s noch!).

Schon als Kind wusste ihre Grundschullehrerin, dass mit ihrem Gehör etwas nicht stimmte. Sie ging in einer normale Schule und hatte mit dem Thema Hörbehinderung wenig zu tun – bis heute. «Ich will die Gebärdensprache unbedingt lernen!», freut sich die Aufgeregte.

Veranstaltungen für Hörbehinderte hat sie aber bisher noch nicht besucht. Auch kam sie mit Gehörlosen noch nicht in Kontakt. Das soll sich aber bald ändern. Sie braucht Zeit. Zeit, ihre Welt zu finden. Im Moment steht sie mittendrin – zwischen Hörenden und Hörbehinderten – und muss ihre Kehrtwende noch verarbeiten. Doch dann ist sie aber soweit. «Ich möchte aus meiner Umwelt noch alles wahrnehmen und verstehen. Ich habe oft das Gefühl, dass ich später gar nichts mehr höre.», erklärt die Doppelbürgerin. Der Grund, warum sie die Gebärdensprache lernen möchte, scheint simpel und komplex zugleich zu sein. «Ich will die Gebärdensprache lernen, damit ich mich auf das Alter vorbereiten kann. Wo ich aber anfange, weiß ich noch nicht.», meint Irina motiviert.

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