Technik

Ava im Test

Die App «Ava» sorgt weltweit unter Hörbehinderten für große Aufregung. Ein Werbespot zeigt, wie man alles Gesagte in Schriftsprache übersetzt erhält. Doch was steckt hinter Ava und was kann die App alles? hearZONE konnte die App testen.

Eine weltweite Neuheit sorgt für massive Aufregung unter Hörbehinderten. Am 17. November 2016 erschien auf der Facebook-Fanseite von «Product Hunt» ein Werbevideo, das zeigt, wie eine hörbehinderte Dame am Tisch mit fünf hörenden Personen alles Gesagte auf ihr eigenes Smartphone transkribiert erhält. Doch was steckt eigentlich dahinter?

Im Herbst 2014 stellte Thibault Duchemin zusammen mit seinen Projektpartnern Spinner Cheng und Pieter Dovendans auf der Crowdfunding-Plattform «Indiegogo» die App «Transcense» vor. Transcense war eine der ersten Apps, die sich speziell an Hörbehinderte wendete. Am 13. November 2014 wurde Transcense erfolgreich mit $43,559 USD finanziert. Davon sind 62% überfinanziert. Die App Transcense übersetzt gesprochene Sprache in Schriftprache auf dem eigenen Smartphone in Echtzeit. Nach der erfolgreichen Finanzierung machten sich die Entwickler an die Arbeit.

Nunmehr sind zwei Jahre seit Transcense vergangen. Am 17. November 2016 wurde auf der Facebook-Fanseite «Product Hunt» ein Werbevideo einer neuen App veröffentlicht, das weltweit über 1,2 Millionen Aufrufe generierte. Im Werbevideo wird gezeigt, wie die App «Ava» eine Gruppendiskussion problemlos auf das eigene Smartphone transkribiert. Es wird das Gefühl vermittelt, dass Schriftolmetscher überflüssig sind und Teilhabe an jedem akustischen Gespräch – egal wo und wann – möglich ist. Zusammengefasst: Menschen mit Hörbehinderung haben im Alltag mit der App «Ava» keine Kommunikationsbarrieren mehr.

So genoss die App Ava weltweite Aufmerksamkeit bei Hörbehinderten. In kürzerster Zeit ging das Werbevideo viral und hörbehinderte Nutzer wollten die App unbedingt auf ihrem Smartphone besitzen. Aber rasch stellte sich heraus, dass die App im App- und Google Play Store nur für den amerikanischen Raum verfügbar ist. Dies sorgte für große Empörung.

Es gibt Umwege, wie die App trotzdem angewendet werden kann. Jedoch geht der Nutzer damit ein Risiko ein und muss die Konsequenzen selbst tragen. Quellen außerhalb vom App- und Google Play Store sind häufig mit Viren und Trojanern verseucht. Zudem ist der inoffizielle Weg nicht immer legal. Für iOS-Nutzer gibt es die Möglichkeit, eine amerikanische US-Apple-ID neu zu registrieren und die App im US-Apple-Store zu beziehen. Technisch kann dies aber auch enorm viel Zeit in Anspruch nehmen, da einerseits der App Store dauernd umgeleitet wird und ein neues Konto erstellt werden muss. Für Android-Nutzer gibt es eine etwas bequemere, aber risikoreichere Möglichkeit, die App auf dem inoffiziellen Weg zu beziehen. Der Nutzer trägt das Risiko und dessen Konsequenzen selber. Gibt man bei Google ‹Ava – 24/7 Accessibility android app .apk› ein, werden Seiten angezeigt, die Installationspakete (.apk) von verschiedenen Apps aus dritter Hand bereitstellen. Gerade hier, wo die Installationsdatei aus dritter Hand kommt, werden oft Viren und Trojaner mit eingeschleust. Dieser Weg ist auch nicht immer legal.

Um die App zu testen, machte ich von diesem Weg Gebrauch und veröffentlichte ein Live-Video auf Facebook, wo ich die App kurz vorstellte. Ich zeigte, dass sie in deutscher Sprache funktioniert. Kurz darauf eskalierte ein Shitstorm. Der Grund: ich wollte nicht auf Facebook verraten, wie diese App auf dem inoffiziellen Weg zu erhalten ist. Diese Hysterie zeigte unter anderem auch, dass die Erwartungen von Hörbehinderten sehr hoch sind.

Hat man sich die App erst auf das Smartphone geladen, erscheint der Startbildschirm. Das Interface ist vorerst nur in Englisch verfügbar. Als erstes sollte die eigene Telefonnummer mit einem Verifzierungscode, welches per SMS zugeschickt wird, registriert werden, damit man sich mit anderen Nutzern später in Gruppen vernetzen kann. Die App benötigt eine funktionierende Internetverbindung.

Durch das Antippen des Mikrofon-Symbols beginnt Ava zuzuhören und übersetzt die gesprochene Sprache in die Schriftsprache. Durch erneutes Antippen wird das Mikrofon wieder deaktiviert. Diese Funktion ist für Frontalgespräche mit einer Einzelperson oder einem Gesprächspartner, der Ava nicht auf dem Smartphone besitzt, geeignet.

Unten Links ist eine Tastatur abgebildet. Durch das einmalige Antippen kann der Nutzer einen Text eingeben, der dann in gesprochener Sprache wiedergegeben wird. So funktioniert die Kommunikation nicht nur einseitig, sondern der Nutzer kann auch mittels der App einen Text eingeben und so in gesprochener Sprache antworten. Mit dem Drehpfeil auf der rechten Seite in der Leiste kann das Transkribierte gelöscht bzw. geleert werden. In den Systemeinstellungen kann man die Schriftgröße für die Anzeige der Transkribierung beliebig verändern.

Ein äußerst interessanter Teil ist die Vernetzung mit mehreren Gesprächspartnern, die Ava ebenfalls auf ihrem Smartphone besitzen und eine Ava-Adresse mit ihrer Telefonnummer angemeldet haben. Mit einem Klick auf das Symbol ‹&› oben rechts werden alle Kontakte, die auf dem Smartphone im Adressbuch abgespeichert sind, angezeigt. Nutzer, die Ava angemeldet und installiert haben, werden mit einem &-Symbol vermerkt. Nutzer die online sind, haben einen zusätzlichen grünen Punkt.

Befinden sich in einem Gruppengespräch mehrere Gesprächspartner, lädt der hörbehinderte Nutzer alle hörenden Gesprächspartner in der App ein. Die Hörenden haben jeweils ihr eigenes Smartphone vor sich. Das Smartphone der einzelnen hörenden Gesprächspartnern ist dann das Mikrofon. Jeder Nutzer erhält seine eigene Farbe, sodass der hörbehinderte Nutzer auf seinem Smartphone die Gesprächsteilnehmer effizient voneinander unterscheiden kann. Die Transkribierung erhält der hörbehinderte Nutzer über eine bestehende Internetverbindung auf sein Smartphone. Der Nutzer, welcher die Einladungen verschickt hat, kann in Schriftsprache, also ‹text-to-voice› antworten – oder auch sprechen. Praktisch – getestet mit einem hearZONE-Leser – können hörbehinderte Nutzer eine Anfrage an hörende Nutzer schicken und so aus der Ferne auch miteinander ‹telefonieren› in Schriftsprache.

Seit Jahren entwickeln sich Systeme für die Spracherkennung. Bekannte Beispiele sind etwa Siri von Apple, Dragon oder die Google Spracherkennungssoftware. Jedoch sind diese Spracherkennungsanwendungen nicht ganz fehlerfrei und haben Verbesserungsbedarf. Die App Ava bedient sich bei keinem dieser Spracherkennungsprogramme, sondern hat ihr eigenes Modell. Durch die Nutzung der App verbessert sich auch das Spracherkennungsmodell in der App und kann so Fehlerquoten stetig minimieren.

Vom Aufbau und Funktionalität her eignet sich die App hervorragend für den Einsatz am Arbeitsplatz oder zur Kommunikation unter hörenden Freunden. Eben überall wo viel gesprochen wird. Allerdings bringt die inoffizielle Version in Deutschland noch einen Makel mit. Das Gesprochene in Deutsch wird nicht in jedem Fall korrekt übersetzt. Wird Ava ohne weitere vernetzte Nutzer, in einer Umgebung mit mehreren Gesprächspartnern verwendet, wird ein Wortsalat transkribiert. Bestenfalls gar nichts. Die Entwickler arbeiten jedoch daran, die Fehlerquoten zu minimieren um einen vollständigen barrierefreien Zugang zu ermöglichen. Ava transkribiert nahezu besser als herkömmliche Spracherkennungssoftwares. Spricht man langsam und deutlich, sinkt die Fehlerquote. Die Standardsprache basiert auf der Systemsprache, welche auf dem Smartphone eingestellt ist. Spricht man also Französisch oder Italienisch während die Systemsprache auf dem Smartphone Deutsch ist, erzeugt Ava einen unverständlichen Wortsalat in Deutsch. Ava tut sich mit Fremdsprachen schwer. Wer in eine Fremdsprache übersetzen möchte, muss die Systemeinstellungen des Smartphones in die gewünschten Sprache umstellen. Auch medizinische Fachbegriffe zeigen und erweisen sich als schwierig. Filme mit den enthaltenen Nebengeräuschen und der Filmmusik zu transkribieren überfordert Ava ebenfalls. Schimpfwörter und negative Ausdrücke werden mit Sternen (*) zensiert.

Die App wurde kostenlos für iOS- und Android-Geräte konzipiert. Man sollte sich aber nicht zu früh freuen. Die kostenlose Version ist ein ‹Basic›-Paket, das heißt, die Nutzungsmöglichkeiten sind begrenzt. Mit dem ‹Basic›-Paket kann man nur 5 Gesprächsstunden (300 Minuten) im Zeitraum von 30 Tagen übersetzen lassen. Ist das Zeitguthaben aufgebraucht, sind die Funktionen bis zur nächsten Erneuerung des Guthabens gesperrt (Zyklus 30 Tage). Mit dem Upgrade des ‹Unlimited›-Paket für $29.99 USD im Monat können Nutzer unlimitiert Gespräche ohne zeitliche Begrenzung übersetzen lassen.

Nach dem Shitstorm kontaktierte mich der CEO und Co-Founder von Ava, Thibault Duchemin per Facebook. Ich stellte fest, dass der Gründer von Transcense derselbe ist, wie bei Ava. Thibault Duchemin begründete die Namensänderung damit, dass Ava (Audio Visual Accessibility) kürzere Links generiert (Bsp. ava.me/&hearzone), welches in der Zukunft geteilt werden kann. Zudem verriert er im Gespräch mit hearZONE, dass aktuell eine Beta-Version für den deutschsprachigen Raum getestet wird. Die Macher arbeiten eifrig an der offiziellen deutschen Version und hoffen, diese noch vor Ende dieses Jahres im deutschsprachigen App- und Google Play Store offiziell bereitstellen zu können. Die DACH-Region darf sich also auf eine baldige offizielle Erscheinung im deutschsprachigen Raum freuen.

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