Kultur

Schönheitswettbewerb vor dem Aus?

Jedes Jahr finden Schönheitswahlen von Deaf Stars statt. Dieses Jahr wurde die International Deaf Fashion Week und Miss & Mister Deaf Stars 2016 am selben Ort in Rumänien ausgetragen. Allerdings mit einigen Zweifeln. Ein Blick hinter die Kulissen.

Die Miss & Mister Deaf Stars (MMDS – Veranstalter Arne Blumeier) wurde erstmalig im Dezember 2014 ausgetragen. 13 Frauen und 10 Männer präsentierten sich vor rund 40 Gästen am 20. Dezember 2014 im Adlershof Con. Vent. Berlin. Aufgrund von technischen Problemen verlängerte sich der Abend um zwei Stunden, sodass die VIP-Gäste keine Zeit mit den TeilnehmerInnen verbringen konnten, weil diese mit dem Bus zurück in das Pegasus Hostel nach Ostberlin gefahren wurden. Unter den TeilnehmerInnen 2014 war auch Clementine Zekrini, die Freundin des Veranstalters, dabei.

Die Folgeveranstaltung wurde 2015 in Istanbul organisiert. Weil in Istanbul ein politisch angespannter Zustand herrschte, wurde die Veranstaltung im November 2015 abgesagt. Im Hintergrund wählte MMDS trotzdem. Nyanko Dayo, ein berufstätiges Model aus Japan, wurde durch Online-Castings zur Gewinnerin gekürt. Sie war auch in Rumänien bei MMDS 2016 als Jurymitglied im Einsatz.

Noch bei Miss & Mister Deaf Germany (MMDG – Veranstalter Björn Blumeier) im August 2016, bekräftigte Björn eine Aussage von Ivana Jeremic, dass der Schönheitswettbewerb mit dem Modeln nichts zu tun hat. Der Schönheitswettbewerb ist kreativ. Models machen, was die Designer sagen. Obwohl beide Veranstalter von Deaf Stars sich im regen Austausch befinden, ließ der Veranstalter von MMDS durch die Bewertung von Online-Videos ein Model an einem Schönheitswettbewerb gewinnen!?

Die International Deaf Fashion Week (IDFW – Veranstalter Björn Blumeier) wurde im Juni 2015 zum ersten Mal in Berlin organisiert. Die Fashion Week ist kein Wettbewerb, sondern eine Modeschau – dies bekräftigte auch der Veranstalter. Hier zeigen hörbehinderte Designer ihre kreativen Modekollektionen. Models präsentieren diese dann auf der Bühne. Am 13. Juni 2015 traten 15 weibliche und 5 männliche Models mit Kleidungsstücken von 11 Designern im Stilbruch Berlin auf (hZ #19).

Nach dem organisatorischen Erfolg von Miss & Mister Deaf Germany im August 2016 (hZ #33), konnte nach Aussagen der Zwillingsbrüder im Interview vom 16. August 2016 (Online) vom MMDS 2016 viel erwartet werden. Sie stellten den Gastgeber Rumänien und die lokalen Sponsoren vor: «Casa de Cultura of Sindicatelor» in Constanta und das 3-Sterne-Hotel Flora in Mamaia. Die rumänischen Sponsoren gaben sich euphorisch, weil sie sich internationale Gäste wünschen. Dies bekräftigte Marius Puscasi, Chef des 3-Sterne-Hotels Flora und Sponsor von MMDS 2016. 80% der Touristen sind nämlich Einheimische.

mmds_romania14
Shulgina Viktoria

Vom 2. bis 12. September 2016 sollte sich die Insel Mamaia in ein kulturelles Mekka für Hörbehinderte verwandeln. Nach Angaben von Deaf Stars hielten sich exakt 101 TeilnehmerInnen und Mitwirkende beider Veranstaltungen sich im großen Konferenzsaal des Flora Hotels auf.
20 Frauen und 13 Männer aus 23 verschiedenen Nationen wurden für Miss & Mister Deaf Stars 2016 nominiert. 7 Designer kleideten 16 weibliche und 9 männliche Models aus 9 verschiedenen Nationen, bei der International Deaf Fashion Week 2016 ein. Insgesamt waren bei beiden Veranstaltungen 34 Nationen vertreten. Der Tanzgruppe «Nikita Dance Crew» aus München gehörten 5 hörbehinderte und 2 hörende Tänzerinnen an.

Das Organisationskomitee setzte sich aus 26 Personen (Coaches, ANSR, Utopia, weitere Mithelfer) mit unterschiedlichen Aufgabenfeldern zusammen. 23 Nationen für MMDS – das klingt nach einem großen kulturellen Zusammentreffen. 15 der 20 Frauen und 11 der 13 Männer konnte man als internationale TeilnehmerInnen einstufen – alle weiteren kamen aus der DACH-Region. Das bedeutet, 20% der TeilnehmerInnen sprachen Deutsch. Trotz der vielen deutschsprachigen TeilnehmerInnen, machten sich bei MMDS 2016 einige kulturelle Unterschiede bemerkbar.

Die Auswahl der TeilnehmerInnen von MMDS 2016 gibt jedoch Anlass zum Nachdenken. Mister Deaf Germany 2016, David Yusuf, der zwei Wochen vorher den Titel zum Mister in Deutschland holte, trat auf internationaler Ebene für sein Herkunftsland Nigeria an. Rabia Bilir gewann 2015 die Misswahl in Deutschland als gebürtige Österreicherin. Für MMDS 2016 trat sie für ihr Heimatland, anstatt für Deutschland an. Hamdi Hassan Abdi, lebend in Wien, vertrat ihr Herkunftsland Somalia, während Olga Hess aus Würzburg für Kazachstan antrat. Ein Dorn im Auge war auch Merlinda Cvorovic. Sie vertrat die Schweiz, obwohl ihr Herkunftsland Montenegro ist. Es lässt sich durch ihr äusserliches Erscheinen nicht vermuten, dass sie aus der Schweiz stammt.

Bei einem internationalen Schönheitswettbewerb sollten die kulturellen Unterschiede prägend sein. Wie kann man ein Herkunftsland vertreten, ohne in diesem zu leben und diese Kultur zu verkörpern?

mmds_romania8
Shulgina Viktoria

Bereits im Jahr 2014 erklärte Arne Blumeier das Konzept zu MMDS. Dieser Wettbewerb ist auf der Grundlage entstanden, dass man den Zweitplatzierten von Miss & Mister Deaf International (MMDI) von Bonita A. Leek, die ebenfalls in Rumänien als Jurymitglied dabei war, eine zweite Chance geben will. Durch die Zusammensetzung der TeilnehmerInnen entsteht aber der Eindruck, dass der kulturelle Teil beim Schönheitswettbewerb überflüssig wird. Es geht scheinbar nur darum, VertreterInnen für möglichst viele Länder zu gewinnen, unabhängig davon, welche Kultur und Herkunft sie wirklich verkörpern. Also nicht mehr kulturell, sondern kreuz und quer multikulturell. Schönheitswettbewerb ganz nach dem Ideal von Multikulti. Verfälscht dies nicht den ursprünglichen Sinn eines internationalen Schönheitswettbewerbs?
Die Zusammensetzung der Models bei IDFW 2016 war weniger relevant, da es sich um keinen Wettbewerb handelt. Die Gewinnerin Sara Tomitz (hZ #30) von Austrians Sign Model (ASM – Veranstalter Björn Blumeier) und Monika Bruckbauer, ebenfalls von ASM, liefen als Model bei IDFW 2016 auf. An der IDFW 2016 nahmen überwiegend Männer und Frauen aus Frankreich, Bulgarien und der Ukraine teil.

Die nominierten TeilnehmerInnen von MMDS und Models von IDFW trugen die Flugkosten selbst. Man könnte es als eine Teilnahmegebühr ansehen. Das Hotel Flora wurde nach der Bestätigung von Marius Puscasi, Geschäftsführer des Hotels, für Deaf Stars gesponsert. Auch die Location «Casa de Cultura a Sindicatelor» wurde nach Angaben von Deaf Stars und dem Inhaber des Theaters gesponsert zur Verfügung gestellt.

Am 2. September 2016, dem ersten Tag, flog die Mehrheit der 101 KandidatInnen und Mitwirkenden in Bukarest ein, obwohl es auch in Mamaia einen Flughafen gibt. Der Flug nach Mamaia ist erheblich teurer. So entschieden sich viele TeilnehmerInnen zuerst nach Bukarest zu fliegen, wo sie nach Absprache mit den Veranstaltern dann abgeholt werden sollten. Bereits um 10.00 Uhr warteten die beiden japanischen KandidatInnen von MMDS 2016 in Bukarest auf ihre Abholung. Innherlab wenigen Stunden wurde die Zahl der Wartenden immer größer. Man wollte wissen, wo denn die Fahrer blieben. Mehrfach wurden beide Veranstalter kontaktiert, um präzisere Informationen zu den Fahrplänen zu erhalten. Man riet den Wartenden, die Fahrt zum Zielort selbstständig zu starten. Anders gesagt: man ließ sie sitzen.

Kurz vor 15.00 Uhr organisierten die Wartenden Taxen zur Bushaltestelle und nahmen eine fünfstündige Busreise mit mehrmaligem Umsteigen in Kauf. Sie wollten nicht der Ungewissheit und der hohen Temperatur länger ausgesetzt sein. Für die Fahrtkosten mussten die Wartenden selbst aufkommen.

Kurz nach der Abfahrt der 8 Taxen, trafen bereits weitere KandidatInnen am Flughafen Otopeni in Bukarest ein. Sie waren irritiert, als man ihnen die aktuelle Situationslage schilderte. Jene, die mit dem Bus durch die trockene Gegend Rumäniens gereist waren, trafen erst nach der Abendmahlzeit kurz nach 20.00 Uhr im Hotel ein. Den rumänischen Fahrern wurde ein alter Fahrplan zugestellt, obwohl es bereits einen neuen gab. Dies verursachte das organisatorische Chaos am ersten Tag.

mmds_romania9
Shulgina Viktoria

Das Programm ähnelte denen von MDG  (Miss Deaf Germany) 2014 und 2015, MMDG 2016 sowie MMDS 2014. Für das Training teilten sich die beiden unabhängigen Veranstaltungen den Konferenzraum. Die 7 Designer von IDFW richteten sich eine Ecke zum Nähen ihrer Modekollektion ein. Eine selbstständig erwerbende Designerin aus Norwegen, Elisabeth Wentzel, erzählte der hearZONE offen, dass sie in die 7 Kleidungsstücke ihrer Modekollektion 800 Euro investierte. Zusammen mit Flug- und Zusatzkosten für die Teilnahme schmälerten diese Ausgaben ihr Privatvermögen um rund 2.000 Euro.

Die Nikita Dance Crew mit Kassandra Wedel (hZ #29), die an beiden Finalveranstaltungen auftrat, übte auf Anweisung der Veranstalter im Vorraum, der für eine siebenköpfige Tanzgruppe recht klein wirkte. Zwischendurch, wenn der große Konferenzsaal leer war, konnte die Tanzgruppe dorthin wechseln.

Die Pressekonferenz in der Location in Constanta war ursprünglich für den 4. September 2016 geplant. Kurzfristig wurde die Konferenz auf den 6. September 2016 verschoben. Für die Pressekonferenz sollten nach Angaben von MMDS rund 20 Bürgermeister eingeladen werden. Einladungen für die besagte Konferenz wurden laut internen Informationen aber erst am Vortag versendet. An der Konferenz wurde der Veranstaltungsbeginn von IDFW 2016 auf 15.30 Uhr am 9. September 2016 kommuniziert. Einen Tag später nach der Konferenz wurde der Veranstaltungsbeginn auf 20.00 Uhr verlegt, während bereits ca. 30 Poster in Mamaia an verschiedenen Stellen ausgehängt worden waren, auf denen noch die alte Zeit abgedruckt war. An der finalen Veranstaltung von IDFW waren rund 400 BesucherInnen auf dem öffentlichen Platz (Open Air = kostenlos an freier Luft). Sieben Designer zeigten rund 100 verschiedene Kleidungsstücke. Die Show verlief an dem Abend mit Spannung, aufgelockert durch ein Unterhaltungsprogramm mit den gleichen Darstellern wie am Finalabend von MMDS 2016 und hinterließ einen positiven Eindruck.

Bei Miss & Mister Deaf Stars, am 10. September 2016 im «Casa de Cultura a Sindicatelor» in Constanta, waren nur rund 300 BesucherInnen anwesend, obwohl der Saal Kapazität für 735 BesucherInnen hatte. Die Gäste waren mehrheitlich Einheimische. Um 15.00 Uhr war Einlass. Um 16.00 Uhr begann die Show.

mmds_romania3
Shulgina Viktoria

Der reguläre Eintrittspreis betrug 45 Lei (10 Euro). Ein VIP-Ticket kostete 180 Lei (40 Euro). Anzumerken ist, dass 10 Euro für einen Einheimischen in Rumänien fast dem Tageslohn entspricht. Ein Taxifahrer erzählte im Gespräch mit hearZONE, dass der Durchschnittslohn für einen rumänischen Arbeiter bei 400 Euro im Monat liegt. Das Monatsgehalt steht zudem in keinem Verhältnis mit den Mietpreisen für Wohnungen. So konnten nicht alle Karten verkauft werden, weil die Eintrittspreise nicht an die örtlichen Verhältnisse angepasst wurden. Noch 60 Minuten nach Beginn begehrten verspätete Gäste Einlass. Weil die Kasse bereits geschlossen wurde, kamen die verspäteten Gäste nicht mehr in das Gebäude. Internationale Gäste waren sehr wenige anwesend.

In der Jury saßen 21 Personen. Fast die Hälfte bestand aus rumänischen Jurymitgliedern, was als unparteiisch zu bezeichnen ist. Das Abendprogramm mit den 33 KandidatInnen verlief genauso wie bei MMDS 2014. Für Unterhaltung sorgte die Nikita Dance Crew, Raouf Labidi aus Paris mit seinem Tabla und der französische Tänzer Patrick Hocheker. MMDS 2014 war im Vergleich bunter, da es damals noch die Talentshow gab. Die Talentshow wurde aufgrund von mangelnden Talenten und organisatorischen Umständen letzendlich abgeschafft.

Der Abend wurde moderiert von Arne Blumeier, in internationaler Gebärdensprache und von ANSR (Asociatia Nationala a Surzilor din Romania) in rumänischer Laut- und Gebärdensprache übersetzt. Die Moderatoren wurden zwischendurch abgewechselt. Am selben Abend machte Arne Blumeier auch seiner Lebenspartnerin Clementine Zekrini einen Heiratsantrag. Dieser Antrag weckte das Publikum wieder auf und sorgte für reichlich Jubel. Die Jury vergab die Titel wie folgt:

Miss Deaf Stars 2016
1. Chimedtseren B. – Mongolei
2. Iryna Timchenoo – Ukraine
3. Victoria Ilina – Russland
4. Olga Hess – Kazachstan
5. Stanislava Stoycheva – Bulgarien

Mister Deaf Stars 2016
1. Claudiu Daniel P. – Rumänien
2. Pafe Mike Palata – England
3. Bayarsaikhan B. – Mongoei
4. David Yusuf – Nigeria
5. Oleg Sont – Moldavien

mmds_romania13
Shulgina Viktoria

Die beiden Veranstaltungen MMDS und IDFW dauerten bis zum 12. September 2016. So wurde das auch von Deaf Stars kommuniziert. Kurz vor Mittagszeit wurden alle Zimmer der Anwesenden von MMDS & IDFW im Flora Hotel am 11. September 2016 gesperrt. Die Zugangskarten mussten erneuert werden.

Nach Angaben von mehreren KandidatInnen sammelte Deaf Stars Geldspenden ein, um die letzte Nacht im Hotel für alle zu finanzieren. Die Gründe für die Sperrung sind hearZONE nicht bekannt. Die Reise zum Flughafen nach Bukarest mussten die KandidatInnen erneut selbst bezahlen, da die rumänischen Fahrer sich weigerten, den Transport durchzuführen. Dieser Umstand verägerte letzendlich viele der Anwesenden.

Allerdings grenzt es an Frechheit, dass Deaf Stars durch das Online-Voting beim Berliner Rundfunk 94|1 (hZ #29) durch die aktive Stimmabgabe der Hörbehinderten 10.000 Euro gewonnen hat und für den Mister Deaf Stars 2016 Claudiu Daniel P. kein großes Geschenk arrangieren konnte. Auch der Mister Deaf Germany 2016 verriert, bei MMDG 2016 keinen wirklichen Gewinn erhalten zu haben. Ihm blieb die Schärpe. Die weiblichen Gewinnerinnen erhielten jeweils ein Haarglätteisen, sonstige Kosmetikprodukte und durften die dürftigen Kronen sowie Schärpen behalten.

Wir gehen auf die Grundfrage zurück: Schönheitswettbewerb vor dem Aus? Trotz der finanziellen und vielen organisatorischen Umstände, sowie der multikulturellen Zusammensetzung der KandidatInnen, wird der Schönheitswettbewerb doch irgendwie überleben können. Wie auch mehrere KandidatInnen im Gespräch mit hearZONE erzählten, ging es ihnen letzendlich nur um den Spaß in der Gemeinschaft. Sie stecken ihr Ärgernis über die Situation einfach weg.

Weitere Umstände in Rumänien führten dazu, dass die hearZONE sich nun von Deaf Stars distanziert.

Auch interessant