Shit Happens

Aus den Tiefen der Untertitelung

#wirbrauchenuntertitel ist wohl eine der öffentlich-stärksten Forderungen der Gebärdensprachgemeinschaft. Erst letztes Jahr war ich eine der Stimmen, die sich dem ORF gegenüber dieser Forderung behauptete. Jetzt, rund ein Jahr später sitze ich in der Untertitelung. Hörbehindert und Untertitel? Shit Happens!

Alles begann im November mit einem Praktikum beim Medienmonopol ORF im Bereich Projektmanagement. Meine Frage, ob ich mich denn auch mal für einen Monat in der Untertitelung umschauen und hospitieren dürfte, wurde sehr begrüßt. Schwerhörig? – Ja und. Man würde einen Kopfhörer besorgen. Am Freitag bevor es ganz offiziell in den Tiefen der Untertitelung losging, wurde ich schon via Mail hochherrschaftlich begrüßt und mir wurde mein Dienstplan zugeschickt: Ich staune. Von TvThek-Einschulung, über Kultur Montag bis hin zu «Heute Österreich» schien alles dabei. So glaubte ich zumindest.

Seit meinem Umzug nach Wien vor beinahe schon 5 Jahren, bin ich ja auch keine Kabel-Fernseh-Abonnentin mehr. Und Sendungen in der TvThek anschauen? Ach ne… da gelobe ich mir lieber die guten alten DVDs, Netflix und die Kinoleinwand. Oder ein Buch. Schließlich ging es dann los: mit dem Untertitel-Ausbessern, mit dem Zuschauen von Live-Beiträgen wie dem Super-G, der Antrittsrede des Bundespräsidenten (nebenbei auch in ÖGS!!) und einem großen Wiedersehen mit den Simpsons – deren Gesellschaftskritik ich wohl erst vollkommen zu begreifen in der Lage bin.

Auf die Frage wie viele Praktikanten es denn gäbe, überraschte mich doch sehr die Antwort: Zero. Warum? Weil die Einarbeitungszeit einfach sehr komplex und langwierig sei. Untertitel-Korrektur ist auch einfach eher etwas für sehr schnelle Augen: Interpunktionsfehler, Rechtschreibung und Grammatik müssen in einem Blick erfasst werden. Nicht zu vergessen natürlich die Richtlinien der UT-Vereinheitlichung des ORF, *Seufzen*. Doch mir lag diese schnelle Erfassung. Was zum einen natürlich an meiner nerdischen Liebe zur deutschen Grammatik lag – ich bin wohl einer der letzten Menschen, denen das Blättern im guten alten Wörterbuch noch Spaß macht. Sondern vor allem an meinen hörbehindert-sensiblen-Augen. Und hier hätten wir es wieder, die Power-Macht: Deaf Gain!!!

Wer es gewöhnt ist, jedwede Serie oder Filme mit Untertitel zu schauen, der trainiert zwangsläufig und unbewusst natürlich auch das schelle Lesen und Erfassen des Geschriebenen. Wäre ja auch ungünstig, wenn man noch über die Bedeutung einer Untertitel-Zeile sinnieren würde, während der Hauptdarsteller bereits das Zeitliche segnet. Man kann an dieser Stelle wohl behaupten, so paradox es auch klingen mag – meine Schwerhörigkeit qualifizierte mich sehr gut für die Tätigkeit eines Untertitel-Lektors. So schnell ich also an ein Praktikum in der Untertitelung kam und mich eingewöhnte, so schnell war es leider auch schon wieder vorbei und der Tag des Abschieds gekommen.

Doch wie sagt man so schön: man sieht sich immer zweimal im Leben. Und so kam es wie es kommen musste, ich blieb auch nach dem Praktikum der Untertitelung erhalten. Seit einigen Wochen geht es mehrmals die Woche zum ORF und schnurstracks zum PC. Denn Untertitel wollen genau und korrekt sein, oder etwa nicht? Und hier fängt der schmale Grat an: korrekte und perfekte Untertitel machen und schnell arbeiten. Lektoriert man nämlich nicht genau, leiden die Untertitel. Lektoriert man zu langsam, leidet der Geldbeutel.

Natürlich hat man gute und schlechte Tage, fast fehlerfreie Untertitel zum Ausbessern oder solche, wo der Timecode bei jedem Untertitel neu gesetzt werden muss. Die Simpsons wurden beispielsweise in unserem schönen Nachbarland der Schweiz untertitelt, die nicht nur auf allerlei Steuererhebungen verzichtet, sondern auch auf das scharfe ss – ‹ß›, was natürlich in den anderen beiden deutschsprachigen Ländern aber normal ist. Solche Sachen gehören selbstverständlich ausgebessert. Wenn dann zusätzlich noch der Timecode eigene Regeln aufstellt, dann verbringt man nicht wenig Zeit mit Bart, Lisa und Co. Schließlich sollen die Pointen doch nicht nur in Lautsprache gut rüberkommen.

Und das kann nun dem Untertitler oder dem Korrektor zum Verhängnis werden: wie hoch setzt man die persönlichen Maßstäbe? Wenn man beispielsweise bei den Simpsons bleibt: Stellt man das meist zeitverspätete «Nein» Homers (der ja immer etwas länger denkt) in die gleiche Zeile wie das Vorher-Gesagte, wo die Pointe irgendwie ihren Witz verliert oder setzt man es punktgenau in den Timecode? Ich komme da immer wieder ins Grübeln (und ja, ich versetze das). Ich finde das ist man der gelben Familie irgendwie schuldig. Und so ist man notdürftig, wenn auch nur in der Rolle des Lektors, doch auch auf sein Hörvermögen angewiesen. Mit Hörgerät, Kopfhörern und die Lautstärke auf das absolute Maximum eingestellt, komme ich sehr gut über die Runden. Und bis an die Grenze, wie sich dann vor zwei Wochen herausstellte, als ich mit einem rapiden Hörsturz aufwachte. Mit Ohr-Geräuschen, denen Tribut zu zollen war. Ein lauter Start in den Morgen! Zurück in der Untertitelung war dann alles natürlich etwas schwieriger. Ausbessern ging natürlich ohne Probleme, doch die Beachtung des Timecodes? Schwierig. Man behilft sich Strategien ähnlich der lautsprachlichen Kommunikation: so viel wie möglich versuchen zu verstehen und rekonstruieren.

Am Ende des Tages klappte alles dann doch irgendwie und dennoch musste ich an den Satz denken: «Hörbehinderte können alles, nur nicht hören. Sogar untertiteln!» Wobei eins muss ich mich fragen: wie cool wäre es eigentlich, die Simpsons gebärden zu sehen?

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